Die Sache mit der Wahl.

Oder: warum haben scheinbar so viele Menschen ein Kurzzeitgedächtnis?

Gestern war ein anstrengender Tag. Der Tag der Nationalratswahl in Österreich.

Eigentlich mag ich Wahltag. Ich wurde in dem Sinn erzogen, dass ich mir des Privilegs des Wahlrechts bewusst sein, es ernst nehmen und nutzen soll. Auch, dass alles andere undankbar wäre, weil viele Menschen für dieses Recht gekämpft haben. Weil viele Menschen auf dem Weg in eine Demokratie, in diese Republik Leid erfahren mussten, Opfer gebracht haben – nicht selten mit dem eigenen Leben bezahlt haben.

Man müsse sich nicht zwangsläufig politisch engagieren, so die Einstellung meiner Mutter, aber man müsse wählen, wenn es zu wählen gilt. Und man dürfe nicht schweigen, wenn die Vergangenheit verklärt wird, nein, man müsse den Mund aufmachen, es ansprechen, zeigen, dass man das nicht toleriert. Immer, immer wieder.

Je älter ich werde, desto mehr nehme ich mir das zu Herzen. Ich bin leider nicht so couragiert und konfliktfreudig wie meine Mutter. Daran arbeite ich noch. Ich bin ehrlich zu feige, um in einer geselligen Runde auf den Tisch zu hauen, Klarstellungen vorzunehmen du am Ende aufzustehen und zu gehen, so wie meine Mutter das macht. Ich bewundere das an ihr. Ich denke, so etwas braucht es manchmal.

Davon abgesehen bin ich aber überzeugt, dass Dialog alles andere sticht. Und genau an dieser Stelle bin ich in den letzten Wochen gescheitert.

Ich verstehe die Menschen, ich verstehe ihre Ängste, Sorgen und ja, die tagtäglichen Probleme, die viele einfach schon seit geraumer Zeit haben. Ja, damit meine ich in erster Linie das Thema Migration, fehlende Integration, Segregation.

Das haben wir verkackt. Das hat die österreichische Regierung verkackt. Ich war damals, 2015, auch dafür Asyl zu bieten, Menschen ins Land zu holen. Keine Frage. Irgendwie dachte ich aber, es läge in irgendeiner Schublade, in irgendeinem Ministerium ein Konzept für alles, was daraus folgen könnte, für alles, was es bräuchte, für alles, was zu bedenken gilt.

Und nein, das gab es nicht. Kein Konzept, kein Plan. Nur Folgen für uns alle.

Jawohl, das empfinde ich als frustrierend und ich fühle mich verarscht. Ich bin enttäuscht, weil ich feststellen musste, dass unsere Regierung(en) schlechtere Arbeit leistet, als so manches kleine Unternehmen. Schon klar, das ist drastisch zugespitzt, aber ich meine damit: überall sitzen Menschen die Projekte managen. Und große Projekte werden aufgesplittet in einzelne Segmente und durchstrukturiert und es gibt Timings und ToDos und Szenarios. So kenne ich das aus meiner Arbeit und es war logisch für mich, dass es in der Politik genauso sein muss. Wie denn auch sonst.

Gut. Es dürfte wohl anders sein, sonst wäre ja jetzt nicht alles, wie es ist. Und es ist nicht gut.

Vieles ist nicht gut in unserem Land. Das sage ich wissend, dass wir immer noch auf der absoluten Butterseite stehen. Immer noch. Wir können uns glücklich schätzen, wir sollten dankbar sein. Und darüber hinaus ein bissl demütiger. Gerne auch gütiger.

Aber das kann man nicht erzwingen, das ist mir klar.

Was mich nur zutiefst verstört ist: die FPÖ? Ehrlich? Schon wieder? Und am liebsten gemeinsam mit der ÖVP? Jesus! Was geht mit den Menschen? Wie viel muss eigentlich noch passieren? Wie viele Skandale auffliegen, Funktionäre angeklagt und verurteil werden? Wie viel Geld muss noch verschwinden, wie viele Hinterzimmermauscheleien sollen noch wie viele wenig qualifizierte, aber gut befreundete Menschen an wichtige Positionen spülen? Wie offen muss diese respektlose, veraltete und absolut inakzeptable Gesinnung noch zur Schau gestellt werden? Das geht seit Jahren so! Und seit Jahren geht es immer schief. Nicht nur ein bisschen, sondern es ist ein Scheitern, das krass und schmerzhaft und mit nachhaltigen Konsequenzen verbunden ist. Immer wieder habe ich diese kurze Schockstarre erlebt, mir an den Kopf gegriffen und laut „Das kann ja wohl nicht wahr sein!“ ausgerufen, wenn wieder ein neuer „Einzelfall“ bekannt, ein Skandal aufgedeckt wurde. Und ich dachte schon so oft: das war’s jetzt wohl. Diesmal haben sie sich selbst kaputt gemacht.

In meiner Gleichung kein einziges Mal mit eingerechnet: Das extreme Kurzzeitgedächtnis der hiesigen Wählerschaft. Warum vergessen die Menschen so schnell? So selektiv? Warum glauben sie der offensichtlichen Schönfärberei? Einfach, weil es schön ist? Einfach weil sie wütend sind? Einfach, weil es einfach erscheint? Aber immer wieder?

Und warum erscheint es so wenigen Menschen als logisch, dass es für jene komplexen Problemstellungen, die so viel Verdruss und Sorge verursachen, auch nur komplexe und langfristige Lösungen geben kann?

Genau genommen, sind viele dieser Probleme, mit denen wir uns derzeit rumschlagen – Bildungs- und Gesundheitswesen hier im Speziellen – ja überhaupt erst auf dem Mist der FPÖVP gewachsen. Wird das übersehen?

Ich weiß, wie so oft, stelle ich mehr Fragen, als dass ich Antworten anzubieten habe. Aber sie schwirren mir eben heute durch den Kopf. Ich persönlich denke nicht, dass jeder, der gestern bei der FPÖ sein Kreuz gemacht hat, ein Faschist, oder eine Faschistin ist. Ich glaube aber sehr wohl, dass einigen dieser Menschen die Bedeutung des Begriffs nicht vollkommen klar ist. Und sie sich deswegen diesen berechtigten Vorwurf nicht machen lassen möchten.

Fest steht: wir brauchen nicht noch mehr Spaltung. Und trotzdem haben wir diese, wie ich befürchte, mit der gestrigen Wahl besiegelt. Wir brauchen Ideen, die aus einer Menschlichkeit heraus entstehen, die alle mit einbezieht.

Ich möchte mich wirklich nicht um das freie Aufwachsen meiner Kinder sorgen müssen, oder mich davor fürchten nachts an gewissen Plätzen aus der U-Bahn auszusteigen. Ich find es wie viele andere komplett bescheuert, dass es Gruppierungen gibt, die sich nicht integrieren wollen und unsere Werte hier als minder ansehen. Die (sexualisierten) Gewaltverbrechen, die in den letzten Jahren von Asylwerbern begangen wurden, schockieren mich zu tiefst und ich bin selbstverständlich der Meinung, dass schon eines allein das eine zu viel war. Es muss dringend einen nachhaltigen Umgang mit dieser Problematik geben. Endlich! Bitte/Danke!

Ich bin mir aber absolut sicher, dass Herbert Kickl diese Lösungen, diese Visionen und machbaren Ansätze nicht hat. Auch wenn er so tut. Es entspricht nicht der Wahrheit und es ist davon auszugehen, dass er seine Macht definitiv nicht zu Gunsten der Bevölkerung nutzen wird.

Dennoch: wie kommen wir wieder in den Dialog miteinander? Wie können wir einander glauben, dass wir uns vielfach ganz ähnliche Dinge für die Zukunft wünschen? Es muss doch irgendwie möglich sein, gemeinsam einen Blick auf die gemeinsame Wahrheit zu werfen, die sich aus den vielen individuellen Wahrheiten ergibt und uns am Ende des Tages alle betrifft.

Teil dieser Wahrheit ist eben auch: Faschismus ist indiskutabel, rechtsextremes Gedankengut ist Gift für unsere Gesellschaft, die Geschichte darf sich nicht wiederholen, Populismus hat nichts, aber rein gar nichts, mit Lösungsfindung zu tun und Herbert Kickl und seine Partei ist nicht ehrlich zur Bevölkerung.

In der Hoffnung auf bessere Zeiten schließe ich mit menschenfreundlichen Grüßen.

Die Simone


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