Die Sache mit dem Sich-mitteilen-wollen.

Bunter Herbst und graue Stimmung.

Oder: warum es gut ist, dass es die Telefonseelsorge gibt.

Telefonseelsorge. Klingt wahnsinnig christlich. Seelsorge. Da sorgt sich jemand aus Berufung um die Seelen anderer, ehrenamtlich, in seiner Freizeit. Also im Gegensatz zu den sehr wohl christlichen Seelsorger:innen, die im selben Atemzug Worte wie Schäfchen und Gemeinde sagen. Zumindest unterstellt man ihnen das, um das Klischee zu vervollständigen. Nichts gegen Klischees. Und nichts gegen Priester:innen.

Wie auch immer. Mir geht es im Moment nicht gut. Die sich ewig selbst in den Schwanz beißende Katze ADHS/Depression hat mich ordentlich im Griff. Egal, ob das Herbstwetter grau und trist ist, oder strahlend blauer Himmel herrscht und die Sonne Landschaft und Bäume perfekt bunt in Szene setzt.

Vor zwei Wochen hab ich auf eine neue ADHS-Medikation umgestellt. Vor zwei Tagen hab ich zurückgerudert. Elvanse, das war die Neuerung, scheint meiner Stimmung nicht zuträglich zu sein. So weit die Arbeitsthese. Alles weitere zeigt wie immer die Zeit. Aber das ist eine andere Geschichte und die werde ich auch bald schreiben und hier posten.

Müde vom Verlieren.

Zurück zum Thema: ich habe in den letzten Jahren viel verloren. Liebe, Lebenskonzepte, Perspektive, Federn, Freundschaften und Substanz. Also überwiegend Verluste, die man sich gerne sparen möchte. Das ist leider so und damit versuche ich im Allgemeinen umzugehen. Geht mal besser und mal schlechter, aber unterm Strich kann ich auf der Haben-Seite verbuchen, dass all das Verlieren sich zumindest nicht oder nicht dauerhaft auf meine Kontrolle ausgeweitet hat. Die hab ich noch, auch wenn nur um die Erfahrung zu gewinnen (HA!), dass man wahnsinnig viel überhaupt nicht kontrollieren kann und Kontrolle somit weitgehend nutzlos ist, weil eh nur Augenauswischerei.

Ich bin müde von allem was war und derzeit auch ein bisschen hoffnungslos, weil recht wenig Positives auf dem Weg zu sein scheint. Aber um eine meiner liebsten akustischen Fehlleistungen zu bemühen: Die Hoffnung stirbt zerfetzt. Und diesem Grundsatz bleibe ich treu. Ich hoffe und glaube an bessere Zeiten und versuche währenddessen weiterhin die mit dem besten Freund etablierte „Tagesschönes“ wahrzunehmen. Ein Tagesschönes ist oft nur ein kleiner Moment, eine kurze Stimmung oder ein Anblick, der zufrieden und glücklich macht. Und indem man nach einem Tagesschönen Ausschau hält, ermöglicht man sich den Blick für das kleine Gute zu schärfen, auch wenn man eher nicht so im Guten badet. Kleine Momente der Fülle, die tröstlich sind und Kraft spenden. Wie zum Beispiel morgens auf dem Weg zur Schule mit den Kindern zusammen lauthals Neverending Story singen. Hatte ich heute in der Früh und ist definitiv ein ziemlich tolles Tagesschönes.

Dennoch weiß ich im Moment oft nicht wohin mit mir und meinen Gefühlen und Gedanken. Und manchmal wird dieses sich Mitteilen Wollen und der Schmerz im Herzen so schlimm, dass ich manchmal die Telefonseelsorge anrufe. Jawohl. Vor einigen Wochen ging’s mir bereits schon mal so. Für einige Tage sogar. Da konnte ich unter der Nummer allerdings niemanden erreichen. Wie gesagt: das ist eine überwiegend ehrenamtliche Einrichtung. Und ich kann mir gut vorstellen, dass der Bedarf dieser Tage höher ist, als das Angebot.

Heute hatte ich Glück

…und einen Herren am Apparat. Es ist immer ein bisschen eigenartig. Ich wähle die Nummer, weil der Druck in mir so stark ist und der Herzschmerz und das Atmen so schwer fällt, dass ich Gefahr laufe den Eindruck zu erlangen, dass das nicht nur die Lungen sind, sondern das Leben, das so wenig kooperativ ist. Die ersten Worte fallen mir schwer. Flapsig wie ich bin, starte ich also mit einem halbherzigen „Huch, ich hatte nicht erwartet, dass Sie rangehen“ ins Gespräch. Gefolgt von einem unbehaglichen Kichern und einem gespielten Räuspern: „Jetzt muss ich hier erstmal in meinen Unterlagen nachschauen.“ Der gute Mann begegnet meiner Unsicherheit gütig und lässt mir Zeit. Ich überlege, wo ich anfange und beginne mittendrin. Er stellt Fragen. Das tut gut. Und ich erzähle über Dinge, die mich „eigentlich nicht so sehr belasten, aber schon auch mühsam sind“. Ich erzähle von der Partnerschaft, die ich letzten Frühling eingegangen bin. Die zu Beginn so wunderbar war und sich so schön angefühlt hat. Und dann kamen die ersten Auseinandersetzungen. Eigentlich alles normal, bis auf die gewaltvolle Sprache, die Beschimpfungen, die Erniedrigungen, die ich „aber eh nicht persönlich genommen hätte“.

Der Betrug, der irgendwann folgte. Bis hin zu den Androhungen von Gewalt und Schlimmerem gegen mich, gegen meine Kinder, gegen Menschen, die mir viel bedeuten. Ja. Aber damit komme ich klar. Ich kann das einordnen, erkläre ich. Ich weiß, dass das nicht meine Schuld ist, sondern dass ich Pech hatte an jemanden zu geraten, der nie eine andere Strategie im Leben erlernt hat, als mit Wut auf alles zu reagieren. Und mit Lügen und Manipulation. Ich wüsste mittlerweile, dass diese Problematik meine Kompetenzen übersteigt und es längst nicht mehr darum ginge, all das gemeinsam als Paar anzugehen und zu bewältigen. Das ist die Wahrheit. Und es hat eine Weile gedauert, bis ich sie zulassen konnte.

Ich erzähle davon, wie meine Familie zerbrochen ist. Der Mann am anderen Ende der Leitung hört aufmerksam zu. Er wertet nicht, er signalisiert Verständnis. Er gibt mir positives Feedback auf einzelne Aspekte.

Ich erkläre die Sachlage zu meiner Psyche: BurnOut, Depression, ADHS. Psychopharmaka. Er unterstreicht, dass er meinen Zugang für sinnvoll hält.

Es tut gut, erzählen zu können. Ganz ohne schlechtes Gewissen, weil ich nicht schon wieder dieselben Themen zum 1000sten Mal durchkaue, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Ich weiß, dass ich auch in diesem Gespräch nur Millimeter weiterkomme. Aber immerhin mal nicht in den Ohren meiner Freunde.

Wenn ich mal groß bin.

Meine Freunde sind großartige, warmherzige und kluge Menschen, die immer für mich da sind. Ich habe extremes Glück mit ihnen. Ich könnte natürlich auch jemanden von ihnen anrufen. Aber auch sie haben ihr Leben, ihre Themen, ihre vollen Tage. Manchmal hab ich einfach das Gefühl zu viel zu sein, ihnen nicht immer wieder mein „Drama“ vorkauen zu können. Vor allem, wenn ich gar nicht genau benennen kann, woher diese plötzliche Dringlichkeit rührt. Warum ich gerade wieder in einer Welle versinke.

Und ich finde es ziemlich toll, dass es die Möglichkeit gibt, in Situationen, wo es mich akut drückt, wo ich verzage und mich zutiefst einsam und unverbunden fühle, eine kleine Telefonnummer anzurufen und zumindest nicht allein sein zu müssen. Das ist ein Geschenk. Ich schätze das sehr. Ich breche eine Lanze für all die Seelsorger:innen. Oft bin ich selbst eine davon. In letzter Zeit brauche ich aber einfach auch Personen, die meine Seele kurz umsorgen. In diesem Sinne ein großes Danke an alle Beteiligten bei der 142. Wenn ich mal groß bin, werde ich vielleicht auch eine von Euch.

Das Gespräch mit dem unbekannten Herren hat 46 Minuten gedauert. Ich kann gerade nicht sagen, ob es mir dadurch besser geht. Aber ich weiß, dass es mir nicht schlechter geht. Weil jemand mir zugehört hat und ich einfach reden konnte und in diesen 46 Minuten nicht mit meinen Gedanken und Gefühlen alleine war. Weil mir jemand, der von mir eigentlich nur die zermürbenden und unvorteilhaften Geschichten gehört hat und mich sonst überhaupt nicht kennt, zu verstehen gegeben hat, dass ich okay bin, wie ich denke und fühle. Ich weiß das im Großen und Ganzen schon selbst. Aber an Tagen wie heute, in Phasen wie diesen, bin ich unzufrieden damit, dass ich nicht einfach ein bisschen anders kann, als ich nun mal kann. Da hilft es mir, wenn jemand sagt: schon okay so, es ist ja auch wirklich viel, Sie machen das gut. Und so wird die Sorge in meiner Seele durch das Umsorgen, dass mir eine andere Seele großzügig zu Teil werden lässt, ein kleines bisschen leiser. Zumindest für einige Stunden.

Telefonseelsorge wie und was?

Mit der Notrufnummer 142 (ohne Vorwahl) kommt man zur TelefonSeelsorge-Stelle des jeweiligen Bundeslandes, in dem man sich befindet. Dort arbeiten vorwiegend ehrenamtliche Frauen und Männer, die für diese Tätigkeit speziell qualifiziert wurden.
Den TelefonSeelsorge-Stellen Österreichs wurde 1998 der Notrufstatus zuerkannt. Das bedeutet, dass die TelefonSeelsorge von jedem Telefon kostenlos und rund um die Uhr erreichbar ist. Wenn Sie sich in einer seelischen Krisensituation befinden, sind wir daher zeitnah für Sie da.

https://www.telefonseelsorge.at


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