Oder: warum sich manche Dinge nicht erlernen lassen.
Zumindest nicht für mich. Eigentlich ist eine meiner Traumvorstellungen ja abgelegen und zurückgezogen zu leben. Weit weg von vielen Menschen und den Geräuschen, die sie machen, den Maschinen, die sie nutzen und den Stimmungen und Interaktionen, die sie mit sich bringen. Und eigentlich brauche ich auch immer sehr viel Ich-Zeit, um mit mir allein in aller Stille und Schweigsamkeit einen Verarbeitungs- und Reinigungsprozess zu durchlaufen, nachdem ich sozial aktiv war.
So weit, so gut: im Grunde habe ich also gute Voraussetzung um meinen Lebensabend freiwillig als schrullige Katzenfrau zu verbringen, ohne dabei Gefühle von Verlust oder Leere zu entwickeln. Dachte ich.
Damit lag ich falsch. Man weiß ja, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Alle Menschen. Manche natürlich mehr und bekömmlicher als andere, aber im Grunde eben alle. Ich auch. Sehr sogar. So sehr, dass ich irgendwann begann, unter meiner Einsamkeit zu leiden. Unter einer Einsamkeit, die ich als solche gar nicht identifizieren konnte: ich habe ja Kinder, die Bude ist häufig voll und so gut wie immer belebt. Man trifft sich mit den Eltern anderer Kinder, man tauscht sich aus, plaudert. Es herrscht viel Bewegung, es ist immer etwas los. Einsam? Pah! Keine Zeit dafür.
Ich hatte auch einen Partner. Einen ziemlich großartigen sogar. Zumindest damals und für mich. Einen echten Freund, dem ich alles erzählen konnte und auch wollte und auch habe. Wie kann man dabei bitte einsam sein? Nun ja, ich konnte. So schnell mein Kopf auch arbeitet, der Rest meines Gemüts ist behäbiger. Ich brauche viel und lange, um mich aufgehoben und angekommen zu fühlen. Um echte Verbindung zu spüren. Mit zwei Kindern und einem vollgestopften Leben blieb am Ende wahrscheinlich zu wenig Zeit für mich übrig, um so weit in diese Gefühle einzutauchen, dass sie etwas Nährendes haben konnten. Auch wusste ich damals noch nicht so genau Bescheid, wie ich Prioritäten setzen könnte oder wollte. Und irgendwann und irgendwo habe ich im Mama-Sein auch in gewisser Weise den Zustand zu mir selbst ein wenig verloren: ich wusste zwar, dass ich traurig bin, mich einsam fühle, aber ich konnte beim besten Willen nicht sagen, was ich nun mit diesen Gefühlen anfangen soll. Und ich konnte auch gar nicht erkennen, worin die nun wurzeln, wodurch sie wachsen, wie sie sich verzweigen. Ich war überfragt und hilflos. Aber das ist eine andere Geschichte.
Was ich sagen möchte ist, dass ich mir wahrscheinlich selbst nicht geglaubt hätte, mein Leben betrachtend, dass da diese enorme Einsamkeit in mir wohnt. Und zwar geräumig wohnt. Und immer mehr Raum einnimmt.
Das ist nun einige Jahre her. Mutter bin ich immer, aber nun keine Partnerin mehr. Und, oh Wunder, die Einsamkeit ist geblieben. Manchmal fürchte ich mich davor, dass sie mich nie wieder verlässt, manchmal akzeptiere ich sie auch und gebe ihr weniger Raum für ihre Allüren. Freunde sind wir bisher keine. Halte ich auch nicht für nötig. Ich akzeptiere sie eher so als Botschafterin. Ich denke, sie möchte mich darauf hinweisen, dass etwas fehlt. Ja, ich verwende bewusst das Wort etwas und nicht jemand. Was mir fehlt ist nicht mein ehemaliger Partner. Zumindest nicht mehr. Was mir fehlt, ist dieses Sonntags-Gefühl von Kaffee im Bett und dazu plaudern, oder diese Vertrautheit, die Worte oft überflüssig werden lässt, weil unmissverständliche Blicke im Bruchteil einer Sekunde mehr sagen können. Mir fehlt das Eingeschworen sein, das vermeintlich bedingungslose Annehmen wollen und Angenommen werden und mir fehlt die Freude und Zuversicht am gemeinsamen Träumen.
Schon klar, ist vermutlich nicht populär sowas zu sagen. Ja, ich spüre und erlebe und schätze meine Freundschaften – viele davon begleiten mich schon seit sehr langer Zeit.
Und natürlich brauche ich keinen Mann, keinen Partner, um ein glückliches Leben zu leben. Ich könnte mich von der Einsamkeit so weit unterrichten lassen, dass ich zur Expertin werde. Aber wozu? Ich will doch gar keine Expertin sein. Ich will ihr zuhören, der Botschafterin. Wie ihre ebenfalls nicht im besten Ruf stehenden Kolleginnen Angst und Unsicherheit, erzählt sie mir ja etwas über mein Leben, meine Grenzen und mich. Sie hat mir beispielsweise erzählt, dass mein Kokettieren mit meiner Freiheitsliebe eben genau das ist: Koketterie. Eine aus falschem Stolz und missverstandener Beobachtung entstandene Eitelkeit, die ich, anstatt sie zu hinterfragen, einfach mit mir rum und manchmal sogar vor mir hergetragen habe. Hätte ich gefragt, hätte ich erfahren, dass dahinter ganz schlicht die banale, aber absolut kraftvolle Angst vorm Verlassenwerden steht. Hätte ich nachgefragt, hätte ich schon früher verstanden, wie sehr ich eigentlich an die Liebe glaube. Nicht an die perfekte, rosarote Roman- oder Lovesong-Liebe. Sondern einfach an die Liebe. Klingt kitschig und womöglich auch ein bisschen dusselig, aber ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, wie wichtig es mir ist, zu lieben und wie viel es mir gibt. Und wie heilsam es ist. Auch gegen die Einsamkeit. „Lieben der Welt zum Trotz“ – ein Satz, den ich mir sogar in die Haut stechen lassen würde (stammt übrigens nicht von mir, sondern von tschieftschief, dem fühligen Instagram-Haudegen, der so oft die wenigen richtigen Worte findet).
Die Einsamkeit erzählt mir, dass es bei mir viel zu holen gibt. Sie erklärt mir, dass Wunden verheilen, aber dass es so etwas wie Narbenschmerzen gibt. Sie hat mir beigebracht, dass ich besser auf mich aufpassen muss, und ein bisschen wachsamer sein sollte, damit ich sie in Zukunft früher höre, wenn sie mir ins Ohr flüstert. Sie hat mir über sich verraten, dass sie im Flüsterton gut genug zu verstehen ist und sich dann auch alles bearbeiten lässt. Wenn sie aber erst mal richtig laut brüllt, sich aufregt und um sich schlägt, dann wird’s problematisch. Ein bisschen wie mit Kleinkindern: wenn der Gefühlsausbruch mal startet, gibt’s kaum ein Halten und vor allem absolut keine akute Linderung oder Lösung. „Immer besser vorher abfangen“, sagt die Einsamkeit. Wusste ich zum Beispiel nicht, weiß ich heute.
Das alles finde ich wichtig und ich nehme es ernst. Aber das ist mir genug an Expertise.
Daher muss ich der Einsamkeit auch manchmal sagen, dass ich nicht aufnahmefähig bin. Manchmal lass ich sie im Hintergrund flüstern und murmeln und konzentriere mich auf andere, lautere Stimmen. Ich gebe ihr auch Beruhigungsmittel. Mir helfen die gegen depressive Verstimmung, die Einsamkeit findet es angenehm, dass sie davon leicht dösig wird. Auch nicht immer und garantiert, aber oft genug, damit sie sich generell nicht mehr ganz so stark aufpudelt.
Anstrengenderweise gibt es aber viel mehr Dinge, die meine Einsamkeit aufscheuchen. Ich glaube, das liegt daran, dass ich schon in so einer Grundspannung vor mich hinvibriere. Da braucht es oft nicht mehr viel, um unangenehme und uneingeladene Gefühle zum Vortrag zu bitten. Es reichen kleine Begebenheiten, es reichen Lieder, Stimmungen, Gerüche. Viele kennen das wahrscheinlich.
Am schlimmsten daran empfinde ich dieses Gefühl der Macht- und Ausweglosigkeit, dass sich dann ab und zu einstellt. Es wird eng, es wird grau – ich werde mutlos. Und das, obwohl ich eigentlich eher zu den Optimistinnen zähle. Zu jenen Menschen, die Lösungen finden möchte, oder zumindest „das Gute daran“.
Wie gesagt: das Gute, dass ich daran gefunden habe, hab ich oben beschrieben – die Einsamkeit ist für mich eine Lehrerin und Emo-Souffleuse. Eine Lösung ist das natürlich nicht. An vielen Tagen ist es in Ordnung, es derzeit nicht lösen zu können. An manchen Tagen ist es fürchterlich. So wie heute. Aber morgen wird wohl wieder anders. Right?
Schreibe einen Kommentar