Die Sache mit den Stimmungen.

Richtig gehend olympisch: für die sportlich vielen Stimmungen und Gefühle, die ich durchlebe, habe ich eine Auszeichnung verdient.

Oder: warum ich mich als sportlich identifiziere, auch wenn ich mich wenig bewege.

Ich komme da tatsächlich manchmal außer Puste. So gut wie alle meine Gefühle nehme ich als relativ intensiv wahr. Und dann hab ich davon meistens sehr viele und diese teilweise gleichzeitig, oder in einem harten Staccato. Es kommt sogar vor, dass ich mit mir selbst gar nicht mehr so richtig Schritt halten kann. Lustigerweise würde ich mich keinesfalls als launisch beschreiben. Ich müsste mal eine Umfrage in meinem Umfeld starten, aber ich glaube, dass sogar meine Mitmenschen mich nicht als launisch beschreiben würden. Zumindest glaube (oder hoffe?!) ich, dass es nicht das Erste ist, was ihnen zu mir einfällt.

Das liegt bestimmt auch daran, dass sich das meiste davon ja in mir drin abspielt und eigentlich fast niemand etwas davon mitbekommt. Gott sei Dank.

Aber es führt dazu, dass ich manchmal zu Mittag das Gefühl habe, dass mein Tag schon mindestens 18 Stunden lang ist. Dass ich mich nicht auf das Jetzt konzentrieren kann, weil ich mich genau genommen gar nicht konzentrieren kann. Dass ich nicht einfach Dinge tun kann, weil ich ja eh schon ständig tue. In mir drin, emsig und viel. Ineffizient.

Oder? Kann man effizient sein mit Gefühlen? Kann man die effizient be- und abarbeiten? Oder ist das wieder mal ein Attribut, dass ich mir an die Fahne heften und in alle Bereiche meines Lebens einbringen möchte? Auch in jene, wo es nichts zu suchen hat? Fragen über Fragen.

Mein persönliches Gefühl der emotionalen Ineffizienz erkläre ich jedenfalls folgendermaßen: ich hänge einfach so wahnsinnig lange in diversen Gefühlswelten fest. Eben teilweise in mehreren gleichzeitig. Ich befasse mich zwar und ich reflektiere und verarbeite, aber auf sehr vielen Baustellen. Und darüber hinaus bin ich auch wahnsinnig leicht abzuholen von allerlei Gefühlsgewaber in meinem Umfeld: schnell mal mitfreuen, schnell mal mitweinen, schnell mal den Schmerz mitfühlen, schnell mal solidarisch mitärgern und so weiter und so fort – jedoch meistens auch in einer ähnlichen Intensität, wie wenn ich Betroffene wäre und nicht nur Teilhabende. Ich klaube mir also sehr viel auf und nehm’s kurz mit – zusätzlich zu allem, was eh schon da ist. Vielleicht tun wir das alle. Ich weiß es nicht so genau. Ich bin ja nur in mir drin.

Und ich finde, diesbezüglich bin ich wirklich schlicht sportlich: ausdauernd, leistungsstark, leidensfähig und, ja, tatsächlich auch trainiert. Trotzdem habe ich immer wieder Herzmuskelkater und am Ende bin ich eben auch so gut wie immer müde. Im Sport sind ja die Ruhephasen genau so wichtig, wie die Phasen der Aktivität. Aber wie sag ich’s meinem Herz und meiner Seele?

Und dann gibt es ja auch noch einige Sonderlocken!

Mir wurde mal erklärt, dass die Sache mit den Gefühlen im Zusammenhang mit ADHS beispielsweise auch folgende ist:

Jetzt habe ich in meinem Gehirn auf Grund der ADHS-bedingt veränderten Stoffwechselvorgänge immer schon eher einen niedrigen Anteil an Happy-Stoffen wie Dopamin und auch Serotonin. Das kann manchmal dazu führen, dass Happy-Impulse nicht zur erwarteten Freude oder Euphorie führen, weil in meinem Kopf zwar sehr wohl etwas passiert, ich aber von einem niedrigeren Happy-Stoff-Level weg starte. Somit komme ich durch freudige Impulse eher erst auf Normalnull oder knapp darüber. Während negative Impulse mich jedoch rasch (noch etwas weiter) runterziehen. Mein innerer Meterriss ist also nicht der Norm entsprechend, was dazu führt, dass mein Weg nach unten einfach kürzer ist, als der nach oben. Zumindest was Emotionen angeht. Und hohe Bücherregale.

Daher auch das Gefühl, dass mich schlechte Dinge viel trauriger machen können, als schöne Dinge mich im Vergleich jemals glücklich machen könnten. Das war in meiner Kindheit und frühen Jugend oft ein anstrengendes Thema. „Jedes Kind an deiner Stelle würde sich so sehr freuen“, „Kannst du nicht einmal zufrieden und glücklich sein?“, „Man kann es dir aber auch wirklich nicht recht machen.“, „Jetzt hast du doch, was du wolltest?! Was passt denn jetzt schon wieder nicht?“.

Ja, das Maskieren lernt man schnell und schmerzvoll. Und von da an kann es richtig gehend olympisch werden! Nicht genug, dass ich all diese Gefühle in mir trage und wahrnehme, nach und nach merkte ich auch auch, dass diese wiederum bei anderen Menschen Gefühle hervorrufen, die in Form von Vorwürfen und Enttäuschung auf mich zurückfielen, und noch mehr Stress auslösten. Was also tun? Beobachten und lernen zu maskieren. Was im Klartext heisst: zu den vielen eigenen Gefühlen, die quasi Default-Zustand sind, und den Gefühlen anderer, die Einfluss haben können, gibt es noch jene Gefühle, die man automatisiert abspielt, weil sie erwartet werden. Drei Ebenen. Immer.

Ich persönlich habe diesen Umstand irgendwann gar nicht mehr wahrgenommen. Im Gegenteil, ich war richtig froh, dass ich den Erwartungen meines Umfeldes entsprechen konnte. Nach einigen Jahren hatte ich das Gefühl, ich wäre in Alltagssituationen von meinen tatsächlichen Empfindungen irgendwie „abgetrennt“ und müsste immer ein „Emo-Programm“ starten. Damit meine ich jetzt tatsächlich so Kleinigkeiten, wie ein Geschenk überreicht bekommen, nette Worte hören, aber auch Unfreundlichkeiten, die einem in der Straßenbahn oder im Supermarkt begegnen.

Hinfühlen, was tatsächlich Sache ist, konnte ich lange erst im Stillen zu Hause. Das fand ich blöd. Ich wurde zwar nicht als unauthentisch wahrgenommen, aber ich habe mich so gefühlt.

Mittlerweile kann ich ganz gut im Moment innehalten und kurz in mich fühlen und dann Worte dafür finden. Das ist zwar nicht immer so geschmeidig, wie ein überschwängliches Quietschen, oder eine stürmische Umarmung, aber ich bin halt scheinbar auch nicht immer geschmeidig. Dafür ein bisschen mehr im Reinen mit mir. Das gilt zwar bisweilen nur für positive Trigger, aber Reaktionen auf negative Erfahrungen sind für mich einfach die Königsklasse. Ja, auch für kleine negativen Erfahrungen. Ich sagte ja, dass Geschmeidigkeit nicht mein Kernthema ist.

Um darauf zurück zu kommen: ich sehe mich als emotionale Hochleistungssportlerin. Ich habe dadurch ein sattes Paket an netten Fertigkeiten erworben und genieße die Vorzüge. Nicht ganz so entspannt, wie Steffi Graf und Andre Agassi, aber immerhin.

Hochleistungssport ist aber kein Kindergeburtstag. Deswegen gehen die Steffi Grafs und Andre Agassis dieser Welt nach vielen Jahren des intensiven Trainings und zahlreicher Wettkämpfe ja auch früh in den Ruhestand. Wie ich das auf mich und mein ADHS-Seelenleben übertragen könnte, muss ich noch herausfinden. Vielleicht fällt mir etwas ein, während ich meine imaginär erworbenen Medaillen und Pokale poliere.

 


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